Ich bin so, wie andere mich gern hätten

Wenn ich mir mal genau überlege, wer ich eigentlich wirklich bin, dann fehlt mir einfach die richtige Antwort dazu. 

Ich lasse in Gedanken mein bisheriges Leben Revue passieren.

 Meine Mutter säuft schon ihr Leben lang. Meine Omi kümmerte sich um mich und nahm mich zu sich, da war ich gerade 7 Jahre alt. 

Jeder der mich kennt, würde sagen, dass ich humorvoll bin, tollpatschig und schräg. Ich bin immer gut gelaunt. Na ja manchmal habe ich Stimmungsschwankungen und dann bekommt derjenige schnell mal die vollste Wucht meiner Abneigung zu spüren. Ich bin mir absolut sicher, dass es niemanden gibt, der behaupten würde, dass ich weine. Ich bin absolut optimistisch und habe schon immer einen Weg gefunden meine Probleme zu lösen. Liebesfilme, voll die Schnulzen und so gar nicht mein Ding. Heulen bei Hochzeiten oder Gefühle zeigen? Niemals. Alle würden sagen, dass ich eher der harte Typ bin. Tränen, dir mir eventuell entrinnen wollten, habe ich schnell versteckt und mit einem blöden Spruch erstickt. 

Ich tue immer so, als hätte ich alles unter Kontrolle, weiß genau was ich tue, wirke stark dabei. 

 Lange genug glaubte ich, ich bin wohl wirklich so. Doch jetzt kommt die Zeit, in der ich feststelle, ich bin nicht so, wie mich alle zu kennen glauben. 

Mein Leben lang habe ich niemanden gezeigt, wenn ich traurig war, wenn ich mich verletzt gefühlt habe, wenn ich Angst hatte. Habe immer den dicken Macker markiert. Ich habe meine Fassade 32 Jahre stabil gehalten. Heute gestehe ich mir selbst Stück für Stück ein, dass das alles wohl nicht ich war, sondern mein kleines starkes Möchtegern- Ich, was versucht hat, mich zu schützen, vor der verdorbenen Menschheit, denn den Glauben in diese habe ich schon vor Jahren verloren. 

Ich heule öfter als du es dir vorstellen kannst. Ich schaue Liebesfilme und ich bin unglaublich sensibel, eifersüchtig und wie Selbstbewusstsein definiert wird, kann ich nur erahnen, denn das fehlt anscheinend gänzlich. 

Ich diagnostiziere bei mir so einige Macken. Fakt ist wohl, ich bin so wie ich bin, weil ich niemals erfahren durfte, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu haben, die sich um mich kümmert. Ich habe immer in Angst gelebt. Angst um sie, Angst um mich, Angst um meine kleine Schwester. Ich habe gelernt, dass man Menschen nicht vertrauen kann, dass nichts und niemand für immer ist und eine Sache, die mir heute das Genick bricht ist, dass ich glaube mich verstellen zu müssen, um anderen zu gefallen. Meine Bedürfnisse hinten anzustellen und nachzugeben auch wenn ich dadurch mich selbst verrate. 

Ich zerbreche innerlich wenn ich Kritik bekomme oder wenn ich Streit mit einem Menschen habe, den ich liebe und glaube sofort, ich bin nicht gut genug und man wird mich wieder verlassen, so, wie mich meine Mutter und mein Glaube an die Menschheit verlassen hat. 

Doch ich kann mit Stolz behaupten, dass ich an mir arbeite. Ich freue mich über die kleinen Dinge im Leben, ich genieße die Gesellschaft von Menschen die ich liebe. Ich freue mich über kleine Erfolge.  Ich sage wie ich mich fühle auch wenn es für den anderen manchmal nicht nachvollziehbar ist, dass ich traurig oder wütend bin. Ich spreche über meine Vergangenheit und darüber wie es mir heute damit geht. Ich bin stolz auf mich, stolz auf diese Frau, die mich im Spiegel ansieht. Auch wenn ich im Gesicht dieser Frau noch sehr viel Traurigkeit und Angst erkennen kann. 

Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, er wird wohl niemals enden. Doch ich habe mich entschieden diesen Weg zu beschreiten und werde weitere Steine überwinden. 

Was sind deine Erfahrungen? Du bist nun erwachsen und spürst, dass irgentetwas nicht stimmt? Woran glaubst du liegt es? Wie gehst du damit um?

Ich freue mich über deine Erfahrungen.

Ich wünsche dir eine besinnliche Adventszeit.

Susi